Lehrerleben im Corona-Alltag

Morgens die ersten Sonnenstrahlen einfangen, die sich den Weg durch die langsam ergrünenden Bäume bahnen, die Stille genießen. Eine Tasse Kaffee am Schreibtisch. Einziges Hintergrundgeräusch das frühlingshafte Vogelgezwitscher. Morgensonne im Büro. Es klingt idyllisch und entspannt. Ist es auch.

Für viele Lehrer wie auch Schüler einer der wenigen positiven Nebeneffekte in der Zeit, die manch einer als „Coronaferien“ bezeichnet: Nicht um acht Uhr morgens noch verschlafen im Unterricht zu sein. Das ist in Ordnung, einen ruhigen Start in den Tag habe ich mir oftmals gewünscht.

Nachmittags dann Sonne auf dem Balkon, nur wird letzterer zum Büro und das wiederum widerstrebt mir. Der Begriff der „Coronaferien“ scheint mir schlicht falsch, denn wie Ferien fühlt es sich ganz und gar nicht an und die einseitige Kommunikation zwischen dem Computer und mir kann den sonst alltäglichen Austausch mit Schülerinnen und Schülern oder Kolleginnen und Kollegen nicht ersetzen. Die Motivation der Lernenden und ihr Durchhaltevermögen beeindrucken mich täglich aufs Neue und auch ich lerne dazu.

Und dennoch: „Es fehlt plötzlich das Lebendige. Die Schule ist ein ganz anderer Ort ohne die Schüler – das hat positive, ruhige Seiten. Es hat aber auch negative Seiten, das Leben fehlt.“ Mit diesen Worten beschreibt Claas Bordes den für ihn aktuell größten Unterschied im Arbeitsalltag als Deutsch- und Philosophielehrer. Dem kann ich nur zustimmen. Selbst in der Videokonferenz fühlt es sich nicht persönlich an. Mal funktioniert ein Mikro nicht, mal eine Kamera. Mal funktioniert es gar nicht. Und selbst wenn es dann funktioniert – vergleichbar ist es nicht.

Letztendlich sei Unterricht nicht nur lernen. Unterricht sei eben auch in einer Gemeinschaft zu sein und gemeinsam etwas zu erforschen, meint Patrick Kellermann, Referendar am GOA. Und ja, Gemeinschaft, das ist das, was fehlt. Der #socialdistancing steht in sozialen Netzwerken hoch im Kurs. Aber die auferlegten Einschränkungen beeinflussen leider nicht nur die virtuelle, sondern auch die reale Welt und ebendiese ist momentan bei weitem (oder mit Abstand) zu einsam.

Abwarten heißt es nun. Und durchhalten. Meinem Bildschirm werde ich wohl bald einen Namen geben.
Lena Sattler

Lagebericht einer Lehrerin

Es ist Montwoch, der 37. März. Der Wecker hat – wie schon in den Wochen zuvor – nicht geklingelt: Herrlich! Aufstehen, Waschen, Zähneputzen, im Bademantel an den PC, nachschauen, ob man schon irgendwo gebraucht wird. Alles ruhig in den Messenger-Gruppen, ein paar Mails sind angekommen, nichts Weltbewegendes. Also wieder ran an das Durchlesen der hochgeladenen Schüler-Ergebnisse, unterstützt von einer großen Tasse Tee. Oft sehr erfreulich, manchmal aber auch ein Rückschritt zu bisher Vermitteltem. Zu jeder Schüler-Leistung notieren, wie ich sie einschätze. Entscheiden, wie ich rückmelde, wo der Schuh drückt. Entweder per Mail oder mit einem persönlichen Telefonat. Glücklicherweise gibt es nur ganz wenige Schüler, bei denen ich glaube, eher die Elternlösungen als die Schülerergebnisse zu lesen. Dann mal duschen und anziehen. Jogginghose? Ja klar, sieht doch eh keiner, lebe ja in Isolation, nur mit meinem Mann – und den stört’s nicht, hat er ja auch an. Es kann vorkommen, dass das Frühstück erst sehr spät stattfindet, immer ganz nach Bedarf und ganz anders als an normalen Schulvormittagen.

Jeder Tag gleicht dem anderen, die Routine ebenso. Schülerergebnisse lesen und einigermaßen bewerten, neue Aufgaben erstellen, dabei auf Variationen achten, Filme suchen, Hörverstehens-Aufgaben einbauen, Musterlösungen schreiben und mit Erklärungen versehen. Gemeisterte Schwierigkeit, die nicht speicherbaren Filmsequenzen aus dem Englisch-Buch so zu bearbeiten, dass sie doch hochgeladen werden können.

Klassenchats im Messenger durchgeführt, der erste brach völlig zusammen, da alle gleichzeitig losschrieben. Nach Systemneustart und klaren Anweisungen aber alles gut.
Die Muffe vor jitsi überwunden und mit Außen- (danke, Julian!) und häuslicher Hilfe (danke, Ehemann!) alles ausprobiert. Auch schon eine Schülerin erfolgreich angeleitet, Angebote zum Ausprobieren meinerseits an meine restliche Klasse wurden aber bisher nicht angenommen. Videokonferenz mit 30 Leuten kommt jetzt.

Der Haushalt muss auch gemacht werden, Wäsche waschen, Müll an die Straße stellen, ab und zu – aber wirklich nur, wenn es nötig ist – zum Einkaufen fahren. Geschäfte mit Schal vor Mund und Nase betreten. Es wird unangenehm warm darunter, ich bin immer froh, wenn ich mir das Ding im Auto wieder herunterreißen kann. In den Geschäften um die Menschen herumtänzeln, bloß den Mindestabstand einhalten, manch andere Kunden freundlich bitten, daran zu denken. Jedes Mal ein Dankeschön auf den Lippen für die Kassierer und sonstigen Mitarbeiter.
Letzte Woche war ich in der Schule, hatte einiges zu erledigen. Vertraut und merkwürdig zugleich, so ganz ohne pulsierendes Schüler- und Lehrerleben. Mein Kabinett total vertraut, aber so einsam ohne die Klassen. Ich habe mich noch nie so nach Schule gesehnt wie in dieser Zeit – sonst gab es durchaus Zeiten, in denen ich mich von Ferien zu Ferien gehangelt habe! Ob wir wohl alle am 73. Junember wieder zusammenkommen können? Ich brauche den persönlichen Kontakt mit meinen Schülern, mit meinen Kolleginnen und Kollegen!
Dagmar Reichle

Zitate aus Lehrer-Interviews am GOA

Was vermissen Sie am meisten?

  • Die Schüler! Im Schulalltag muss ich so oft lachen, weil die Kinder lustige Sachen machen oder erzählen – das fällt nun weg. (Claas Bordes)
  • Die direkte Interaktion im Unterrichtsraum und die Möglichkeit z.B. Physikexperimente durchzuführen bzw. von Schülern (in meinem Beisein) durchführen zu lassen. (Matthias Herwig)
  • Natürlich die Menschen, mit denen ich sonst zu tun habe, die Schüler, über die man sich freuen kann (sogar die, über die man sich ärgern kann) und die Fachkollegen. (Reinhard Müller)

Was ist besonders herausfordernd am Home-Office?

  • Sich jeden Morgen aufs Neue zu motivieren, erneut einen ganzen Tag alleine vor dem Computer zu verbringen. (Michelle Meinhardt)
  • Dass das Ende nicht abzusehen ist und je länger es dauert, desto weniger gut ist es auszuhalten. (Reinhard Müller)

Welche positiven Aspekte hat diese neue Art des Unterrichtens?

  • Dadurch, dass wirklich ALLE SuS ihre bearbeiteten Aufgaben hochladen und von mir Feedback bekommen habe ich den Eindruck, dass gerade die im Unterricht sonst stilleren, aber guten SuS wirklich profitieren und tolle Ergebnisse zeigen, auch (besonders) bei freiwilligen Zusatzaufgaben. (Ilka Schäfers)
  • Ich habe Talente entdeckt, von denen ich es nicht für möglich gehalten hätte, wirklich gut! (Marie Apeldorn)
  • Viele Schüler profitieren von der selbstbestimmten Arbeit: Ich habe schriftliche Ergebnisse eingereicht bekommen, die so im Unterricht kaum hätten entstehen können. (Claas Bordes)
  • Möglicherweise werden mehr Schüler in Zukunft selbständiger arbeiten, als das früher der Fall war, eventuell wird auch die Internetrecherche sich verbessern. (Clemens Pampel)

Kommentare

  • Ich weiß, warum ich nie einen Bürojob wollte, ich mag Home-Office nicht besonders. (Clemens Pampel)
  • Es ist klar, dass dies eine Notlösung ist. Und natürlich ist es allemal besser, überhaupt etwas zu versuchen, als gar nichts zu tun. […] Es ist kein auch nur ansatzweiser Ersatz für echten Unterricht. (Stephan Maaß)
  • Die Corona-Krise stellt Schüler und Lehrer gleichermaßen vor eine große Herausforderung, aber insgesamt funktioniert das Home-Schooling relativ gut. (Daniel Decker)
  • Man lebt sich langsam in den Homeoffice-Alltag ein, entdeckt neue Online-Tools, aber den „direkten“ Kontakt kann man eben nicht ersetzen! (Laura Manthey)
  • Ich habe gemerkt, dass man sich sehr schnell an eine Situation anpassen kann und sich an diese ebenso schnell gewöhnt, wenn man sich einen Tagesablauf schafft und sich an diesen hält. Zudem finde ich es enorm hilfreich und tröstlich, so tolle Kolleginnen und Kollegen, an welche ich mich jederzeit wenden kann, an meiner Seite zu wissen! (Michelle Meinhardt)
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