„Gegen das Vergessen – Erinnern für die Zukunft“

Der Holocaust-Gedenktag war auch dieses Jahr Anlass für ein feierliches Gedenken an das Leiden der Zwangsarbeiterinnen im ehemaligen KZ-Außenlager Sasel. Die Veranstaltung am Freitag, den 26.1.24, um 13.00 Uhr wurde von der Begegnungsstätte Poppenbüttel organisiert. Eingeladen waren Redner der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ und der „Omas gegen Rechts“. Von Peter Rühmkorf wurde das Gedicht „Bleib erschütterbar und widersteh“ vorgetragen, die angemessene musikalische Begleitung leistete Bernd Hof. Für das GOA hielt Dr. Martin Widmann eine Rede, deren Manuskript unten abgedruckt ist.

Besonders hervorzuheben sind die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10a mit ihrem Geschichtslehrer Stephan Frejno, die mitgebrachte Blumengestecke am Erinnerungsstein niederlegten und dabei der Opfer gedachten.

Ab 2025 wird die Ausrichtung der Gedenkveranstaltung wieder an das GOA zurückkehren.

Dr. Helge Schröder

Rede von Dr. Martin Widmann am 26.1.24

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitglieder der Begegnungsstätte Poppenbüttel,
liebe Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Oberalster,

wir stehen hier am Gedenkstein für die Inhaftierten des Außenlagers Sasel des Konzentrationslagers Neuengamme und erinnern an das Leid der ca. 500 vor allem polnischen Jüdinnen, die hier zwischen Spätsommer 1944 und Mai 1945 inhaftiert waren. Dass wir dies tun ist nicht selbstverständlich und auch nicht angenehm: Wir denken an eine Zeit zurück, in der durch deutsche Politik, deutsche Beamte, deutsche Soldaten und andere Unterstützer die Würde nicht nur dieser Inhaftierten unermesslich verletzt wurde.

Die Inhaftierten hatten bei Ankunft hier im Arbeitslager Sasel bereits einen langen Leidensweg hinter sich – viele kamen aus dem euch bereits bekannten KZ Neuengamme.  Die Würde des Menschen ist unantastbar – so steht es auf dem Gedenkstein, der durch Initiative eurer Vorgänger vor 35 Jahren hier errichtet wurde. Dieser Satz steht bekanntermaßen im Grundgesetz (Art.1): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Das erscheint uns heute so selbstverständlich. Es beinhaltet die vielen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Recht auf Selbstbestimmung, Schutz vor Folter und Hinrichtung, Recht auf Teilhabe oder Gesundheit.

Heute können wir unsere Meinung frei äußern, ihr könnt sagen, dass unser Bürgermeister oder auch euer Schulleiter etwas falsch gemacht hätte. Das hat keine Konsequenzen. Ihr könnt über euch selber bestimmen, z.B. im Ausland studieren und werdet selbstverständlich nicht gefoltert, wenn ihr Herrn Scholz beleidigt. Vielleicht könnte eine Geldstrafe verhängt werden. Und natürlich kümmert man sich um euch, wenn ihr krank oder erschöpft seid. Das alles war damals ganz vielen andersdenkenden Deutschen und den hier inhaftierten Frauen nicht vergönnt. Sie waren durch staatliche Willkür gefangen und wurden misshandelt, gedemütigt, entrechtet.

Es ist für uns Nachgeborene sehr schwer, sich in die Situation dieser Opfer hineinzuversetzen. Wir haben (hier in Westdeutschland) keinen Unrechtsstatt erlebt, keine Folter, keine Angst vor Willkür. Immerhin, wir gedenken ihrer.

Was uns Nachgeborenen leichter fällt, ist Unrecht Unrecht zu nennen. Der Artikel 1 des Grundgesetzes ist dabei ein guter Wegweiser.

Wir sehen in Russland und anderen Ländern, dass die Anzahl der Unrechtsstaaten zunimmt. Und auch bei uns gibt es Tendenzen, unsere liberale und tolerante Demokratie zu schwächen. Helmut Schmidt (ehemaliger Bundeskanzler) und auch Dr. Henning Voscherau (ehemaliger Bürgermeister der Hansestadt Hamburg und bekanntester Abiturient unserer Schule) haben beide mit etwas anderen Worten gesagt, was gegen Rechtsextremismus hilft: Zum einen ist es „geistige Führung“ – damit ist v.a. ein klare und kommunizierte Wegführung gemeint. Zum anderen aber auch „politische und wirtschaftliche Vernunft“: Ein klares Bekenntnis gegen Ideologien und Hysterien. Hier scheinen wir derzeit in Deutschland Nachholbedarf zu haben. Wichtig ist, die Bedürfnisse der Menschen ernst zu nehmen und die vielfältigen Probleme zu lösen. Das fehlende Vertrauen in die Institutionen des Staates (Verwaltung/Parteien), die Ängste vor dem Sozialabstieg und Armut, waren Gründe für den Aufstieg der Rechtsextremen Anfang der 1930er Jahre. Dies gilt es zu vermeiden.

Lasst uns wach und aufmerksam durch dieses Leben gehen. Aufmerksam all den Anfängen von Intoleranz und Unmenschlichkeit gegenüber. Kleinigkeiten und Dinge die „noch“ nicht dramatisch erscheinen, die aber schon Unrecht sind und so schnell wachsen. Wach und aufmerksam Verantwortung übernehmen für uns, für unsere Mitmenschen, für unsere Gesellschaft. Das soll Motto sein auf unserem Weg. Um solches oder ähnliches Unrecht nie wieder geschehen zu lassen.

Dr. Martin Widmann