Ohne das GOA nicht möglich? 

Eine Generation wiedervereinigt!? Bundesweite Tagung zur Geschichte der DDR und den Transformationsprozessen seit der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung 1989/90 am 23. und 24. September 2022 in Hamburg.

Bereits zum zweiten Mal seit 2016 trafen sich Fachinteressierte, Lehrkräfte und Wissenschaftler aus dem ganzen Bundesgebiet in Hamburg, um über die Geschichte der DDR Neues zu lernen, Bekanntes neu zu diskutieren und neue Ansätze zur Vermittlung dieser Geschichte in Schule und Gesellschaft kennenzulernen. Die 2022er-Tagung hatte zwei besondere Merkmale: Erstmals konnten fast 50 Oberstufenschülerinnen und -schüler der Gymnasien Oberalster und Buckhorn im Rahmen der Berufsorientierung an einer „echten Tagung“ teilnehmen. Erstmals waren es auch das „Goappucino-Team“ für die Verpflegung und das Technik-Team für die Vortragsaufzeichnung des Gymnasiums Oberalster, die das Gelingen der Tagung ermöglichten.

Die Tagung begann gewichtig: In seinem Eröffnungsvortrag „Die Zäsur von 1989/90 in europäischer Perspektive – wie erinnern wir uns heute an die deutsche Einheit?“ gab Prof. Dr. Ralph Jessen (Köln) einen souveränen Überblick über die verschiedenen Erinnerungsorte, -zeiten und -ansätze und bewertete deren historiographisches Gewicht. Dabei arbeitete Herr Jessen u.a. heraus, wie sich die Rezeption der Friedlichen Revolution und Wiedervereinigung von einer nationalen in Richtung einer europäischen Perspektive verschiebt, wie sich dabei aber auch Sichtweisen und Wahrnehmungen verändern.

Juniorprof. Dr. Kathrin Klausmeier (Leipzig) schloss mit einem Blick auf die Vermittlung in Schulen und Gesellschaft an und zeigte dabei, dass die Diktatur der DDR für heutige Schülergenerationen schwer zu fassen sei, weil als Vergleich in der Regel nur die nationalsozialistische Diktatur in den Schulen vertieft behandelt würde. Frau Klausmeier zeigte auch, dass zwischen den „neuen“ Bundesländern und der „alten“ Bundesrepublik erkennbare Unterschiede in der Vermittlung, aber auch Wahrnehmung bestehen und weiter bestehen und entsprechend unterschiedliche Geschichtsbilder entständen.

Nach einer Kaffeepause, in der über 70 belegte Laugenstangen, mehr als 14 Kuchen und viele, viele Kekse als Stärkung gegessen und mit Kaffee, Tee und Mineralwasser „heruntergespült“ wurden, standen eine Reihe von „Nahaufnahmen“ in speziellen Workshops auf dem Programm: 

  • Umbruchszeiten – Keine Angst vor Social Media im Unterricht. (Juliane Hoheisel und Lydia Thieme, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur)
  • Zeitzeugen zur SED-Diktatur – neue Impulse zur Demokratieerziehung in schwierigen Zeiten. (Dr. Frank Hoffmann, Institut für Deutschlandforschung der Ruhruniversität Bochum)
  • „Zurück zu den Quellen.“ Arbeit mit Stasi-Unterlagen als Grundlage für quellenkritische und faktenbasierte Diskurse. (Bettina Altendorf, Stasi-Unterlagen-Archiv, Berlin)
  • „Die DDR – ja und?“ Ein handlungs- und gegenwartsorientierter Zugang zur DDR-Geschichte für die Sekundarstufe I und II aller Schulformen. (Dr. Frank Schweppenstette, Apostelgymnasium Köln und Fachleiter am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Köln)
  • „Eure Geschichte“ – ein multimediales Schulprojekt. (Tobias Brodkorb, Internatssschule Schloss Hansenberg, Geisenheim und Carl-von-Ossietzky-Schule, Wiesbaden)
  • „Elf 99“ von der staatlich gelenkten Jugendsendung der DDR zum kritischen Format mit Biss. (Franziska Frisch, Friedrich-Ebert-Gymnasium, Hamburg)

Mit einem moderierten Zeitzeugengespräch schloss der erste Tagungstag: Dr. Klaus Zeh, ehem. Mitglied des Demokratischen Aufbruchs tauschte mit Jan Pagels, der kurzfristig für den erkrankten Dr. Axel Hartman eingesprungen ist, Erinnerungen und Bewertungen aus: Dabei verknüpften sich unterschiedliche chronologisch-biographische Zugänge, aber auch geographische Unterschiede: Während Herr Zeh 1989/90 Familienvater war und in Thüringen politisch aktiv wurde, stand Jan Pagels nach dem Abitur in Mecklenburg vor dem Beginn seines Wehrdienstes in der DDR, den er am 1.11.1989 auch antrat. Heute ist Klaus Zeh im Ruhstand und Jan Pagels steht, in Hamburg wohnend, als Landesbeamter von Mecklenburg-Vorpommern mitten im Berufsleben.

Der zweite Tagungstag begann für das Catering-Team schon früh: Um 9.00 Uhr waren die Schüler vor Ort, die Tagungsteilnehmer trafen durchaus später ein, freuten sich aber über einen warmen Kaffee oder Tee. Um 10.00 Uhr startet dann Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller (Jena) mit seinem Vortrag „Die Umbruchszeit nach 1989/90 in Deutschland und Ostmitteleuropa“ und zeigte dabei auf, wie sehr der nationale Blick auf 1989/90 sich auf eine europäische Perspektive erweitern muss, gerade bezogen auf Ostmitteleuropa (u.a. das Baltikum, Polen oder Ungarn) und der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten. Über die Ausführungen Jörg Ganzenmüllers wurde unter der Zuhörerschaft intensiv diskutiert, dann folgte eine zweite Staffel von Workshops mit den folgenden Themen und Referenten:

  • „Demokratie – Jetzt oder Nie!“ – Lebensnahe Quellen zum Aufbruch in die 1990er Jahre. (Dr. Frank Britsche, Lehreinheit Geschichtsdidaktik, Universität Leipzig)
  • „Mauerpost“, „Grenzgänger“ oder „Wir sehen uns im Westen“: Historisches Lernen an und mit aktuellen Jugendromanen in fächerverbindenden Projekten und im Geschichtsunterricht. (Dr. Monika Rox-Helmer, JLU Gießen; Didaktik der Geschichte)
  • „Fröhlich sein und singen, stolz das blaue Halstuch tragen …“ (Organisierte) Jugend in der DDR. (Jana Möhrke, Studienseminar für Gymnasien Fulda)

Nach einer von Diskussionen (und einem Angebot von mehr als 100 Brezeln und von den Schülern belegten Brötchen) geprägten Mittagspause folgte der letzte Programmpunkt: Martin Handke (Hamburg), Katharina Hochmuth (Berlin), Dr. Frank Schwppenstette (Köln) und Dr. Helge Schröder (Hamburg) diskutierten mit intensiver Beteiligung der Zuhörenden unter Moderation von Dr. Heidi Martini (Hamburg) über „Vereinigungsprozess und Umbruchszeit nach 1989/90: Konsequenzen, Chancen und Bruchstellen für Unterricht und Lehrerbildung“. Ein wichtiges Fazit: Die Geschichte der Jahre 1989/90 und ihrer Vor- und Nachgeschichte ist nicht ein wichtiges, sondern auch für Schülerinnen und Schüler anregendes und motivierendes Themenfeld, denn der Fundus an unterschiedlichsten medialen Quellen, einschließlich von Zeitzeugen, ermöglicht neben den wichtigen Inhalten auch das Erlernen zentraler Kompetenzen für einen zeitgemäßen und zukunftsorientierten Geschichtsunterricht.

Die Bundesstiftung Aufarbeitung, der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands mit dem Fachverband Geschichte und Politik Hamburg und das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulenentwicklung Hamburg sind sich in einem Punkt absolut einig: Diese Konferenz war in Präsenz (nach den Corona-Schließungen) notwendig und sinnvoll, sie hat einen großen Ertrag für die Teilnehmenden gebracht und sie hat die Bedeutsamkeit des Themas für Schule, Wissenschaft und Gesellschaft unterstrichen. 

Helge Schröder, Hamburg