Von Conlin Hillert, S II

Das letzte halbe Jahr in Australien war bisher das größte Abenteuer meines Lebens: eine so unglaublich schöne, erlebnisreiche und prägende Zeit, die ich nie vergessen möchte.

Doch der Reihe nach. Nach einem unglaublich langen (20 Stunden und Zwischenstopp) Flug landete ich mit zehn anderen deutschen zukünftigen Austauschschülern todmüde in Sydney (wo es zu unser aller Überraschung regnete). Es ging dann – zusammen mit noch ca. 60 Austauschschülern aus anderen Ländern – in eine Jugendherberge nördlich der Stadt. Hier verbrachte ich meine „Orientation“ – eine Einführungsveranstaltung –, die Teil meines Programms war, das die Organisation Ayusa-Intrax organisiert hatte. Es gab Workshops in Gruppen zu einer Vielzahl wichtiger Themen und schließlich ein Sightseeing in der Innenstadt. Wir wanderten zum berühmten Opernhaus und nahmen die Fähre zum Badeort Manly. Ich war schon ziemlich erstaunt, als ich dort am Pazifikstrand auf ein bayerisches Bier-Café stieß,  und dies war nur das erste einer ganzen Reihe von Oktoberfesten und Hofbräuhäusern, die ich während meines Aufenthalts sehen würde. Deutschland ist gleich Bier und gute Autos, das bekam ich sehr häufig zu hören.  Und dann natürlich die klassische Frage, ob man denn in Deutschland wirklich Deutsch spreche.

Die „Orientation“ war insgesamt eine sehr schöne Erfahrung: die Workshops waren hilfreich, ich konnte mein Englisch wieder auffrischen und trainieren, und vor allem fand ich neue Freunde aus einer Vielzahl von Ländern, mit denen ich mich während meines Aufenthalts noch sehr häufig austauschen konnte.

Der Austausch ging jedoch erst danach richtig los. Ich flog nach Rockhampton, meiner Heimatstadt für das nächste halbe Jahr. Sie liegt zwischen Brisbane und Cairns, eine knappe Stunde von Küste und Riff entfernt an einem Fluss und mit 60.000 Einwohnern keine Kleinstadt, aber auch keine Metropole. Es ging alles ganz schnell, kaum hatte ich von meinen neugewonnenen Freunden in Sydney verabschiedet, nahm mich meine Gastfamilie auch schon in die Arme und eröffnete mir, dass sie schon in bester australischer Tradition ein Willkommens-BBQ mit der ganzen Verwandtschaft vorbereitet habe. Meine Gastfamilie bestand aus einer 53-jährigen Gastmutter, einem 17-jährigen Gastbruder und einer 14-jährigen Gastschwester, später kam dann noch ein anderer Austauschschüler aus den USA hinzu. Außerdem hatte ich noch vier ältere Gastgeschwister, die ebenfalls in der Stadt wohnten. Ich hätte mir keine bessere Gastfamilie wünschen können. Alle waren enorm liebevoll, gastfreundlich, positiv eingestellt und – typisch australisch – entspannt und humorvoll. Auch über die materielle Ausstattung konnte ich mich glücklich schätzen: meine Familie hatte ein kleines Boot und einen Pool, der in der sengenden Hitze des fünften Kontinents fast täglich benutzt wurde. Das Wetter war zwar die meiste Zeit sehr heiß und sonnig, aber nicht immer. Zwischendurch gab es immer wieder heftige tropische Stürme und Regenschauer, die die Stadt regelrecht überfluteten. australien2

Nun zur anderen Säule meines Aufenthalts, der Schule. Sie ging jeden Tag von 9 bis 15 Uhr. Die Schüler waren größtenteils sehr aufgeschlossen und nett, und so fand ich schon bald Freunde, mit denen ich mich auch in der Freizeit traf. Sonst war natürlich alles ganz anders. Die Unterschiede könnte man wahrscheinlich am besten mit dem Wort „stärker reguliert“ zusammenfassen: ich musste eine Schuluniform tragen und auch das allseits beliebte Facebook ist auf den Schulcomputern gesperrt. An der christlich-konservativen Privatschule meiner Gastschwester musste sogar ein Mindestabstand von 30cm zwischen Mädchen und Jungen eingehalten werden.

Die Schulen und Lehrer haben auch weniger Entscheidungsfreiheit als in Deutschland. Unterrichtsinhalte und -materialien sind im ganzen Bundesstaat gleich und werden in einem auf die Woche genau durchgeplanten Lehrplan festgelegt. Trotzdem fand ich den Unterricht wenig anspruchsvoll. Dies lag an den Inhalten (der Stoff der 10. Klasse dort entsprach dem der 8. und 9. Klasse in Deutschland), den seltenen Hausaufgaben und auch daran, dass die Lehrer die Regeln ziemlich inkonsistent durchsetzten.

Beeindruckt haben mich allerdings die technische Ausstattung (jeder Lehrer und auch viele Schüler haben eigene Laptops, es gibt 3D-Design-Software und sogar einen 3D-Drucker), und die große Auswahl an Fächern. Viele Fächer haben Praxisbezug, z. B. „Hospitality“ (Hauswirtschaft). Dann gibt es auch noch eher wissenschaftliche Fächer wie „Racing Design and Technology“, in dem Schüler Rennwagen zuerst am Computer designten, anschließend 3D-ausdruckten und dann auf einer Modellrennbahn testen. Da es allerdings nur drei Pflichtfächer gibt (Englisch, Mathe, Naturwissenschaften) und die anderen drei Fächer Wahlfächer sind, fehlte mir in Australien besonders die Allgemeinbildung, wie wir sie in Deutschland haben. Meine Wahlfächer waren übrigens Rechtskunde und IT – die ich wählte, da ich sie am GOA nicht hatte und sehr interessant fand – und Sport.

Gut gefallen haben mir dagegen die vielen Schulveranstaltungen. Neben regelmäßigen Ausflügen zu Schülerwettbewerben gab es auch einen Schultanz, ein sehr professionelles Schulmusical, ein Abschluss-Dinner sowie eine Preisverleihung am Ende des Schuljahres an besonders gute Schüler, bei der u. a. Unternehmen die Preise stifteten.

Nun zu meiner Freizeit, meiner schönsten Zeit: meine Gastfamilie war – wie schon erwähnt – sehr engagiert und hat häufig Ausflüge mit mir gemacht. Wenn man „Australien“ hört, denkt man natürlich zuerst ans „Wildlife“, und so war ich des Öfteren in Zoos, Tierschutzstationen etc. bei Känguru, Koala und Co. In freier Wildbahn machte ich zum Glück keine Bekanntschaft mit giftigen Spinnen, Schlangen oder Quallen, dafür recht häufig mit einer Tierart, über die in Europa eher selten berichtet wird: Magpies, einer etwa krähengroßen Vogelart. Einige Exemplare dieser Art verhalten sich in der Brutsaison aggressiv und attackieren Eindringlinge – insbesondere Radfahrer – um sie zu verscheuchen. Nun wollte es das Schicksal so, dass es auf meinem Schulweg – den ich mit dem Fahrrad zurücklegte – zwei solcher Exemplare gab und es auch Brutsaison war. Aufgrund der in Australien herrschenden Helmpflicht passierte mir nichts, stören taten diese Vögel aber schon.

Meine persönlichen Freizeit-Highlights waren: Tubing und Kneeboardfahren (ähnlich wie Wasserski) auf dem Fluss, Angeln auf dem offenen Meer und anschließendes Schnorcheln am paradiesischen Riff mit dem Familienboot, Besuch einer Höhle und einer Krokodilfarm, die Familien-BBQs am Strand (inklusive meiner ersten kläglichen Surfversuche), die Allradfahrt durch den Dschungel zu einem idyllischen, abgelegenen Strand und schließlich ein Wissenschafts-Workshop, bei dem ich gemeinsam mit anderen eine Solaranlage baute, die automatisch die Sonne verfolgt – und nebenbei viele nette Leute kennenlernte.

australien1Ich hatte außerdem glücklicherweise die Gelegenheit, in der Freizeit Sport zu treiben, und zwar Auslegerkanu-Rudern (zweimal wöchentlich), da ein Verwandter meiner Gastfamilie den örtlichen Club leitete. Besonders auf dem Ozean war dies immer ein tolles Erlebnis. In meiner Freizeit hab ich also ziemlich viele schöne, aufregende und prägende Dinge erlebt, und es kam sogar noch besser: mein Vater kam aus Deutschland zu Besuch, um mit mir eine einwöchige Reise durch Australien zu umternehmen.

Nach dem Treffen in Sydney ging es über die eindrucksvollen „Blue Mountains“ nach Canberra, der Hauptstadt, und wieder zurück nach Sydney. Von hier aus flogen wir dann ins Outback, das rote Herz Australiens, zu dem Natursymbol des Landes schlechthin: dem Ayers Rock oder politisch korrekter “Uluru”. Es war für einen Großstädter wie mich überwältigend, „in the middle of nowhere“ zu sein, tausende von Kilometern entfernt von den nächsten Großstädten, in der glühenden Hitze des Outbacks. Und dann dieser eine magische rote Felsen, der sich gigantisch aus der Leere erhebt und fast minütlich seinen Farbton wechselt. Mit solch prägenden Eindrücken, vielen Erinnerungen, neuen Freunden und einer zweiten Familie verließ ich Australien, zurück in meine kalte Heimat Deutschland.