„Und dann hörte mein Vater 1946 den Vortrag eines Herrn Dr. Eckmann, der in der Grundschule meiner Schwester für seine Oberschule in Poppenbüttel [dem heutigen GOA] warb. In seinem Vortrag sprach er auch davon, dass es nichts schade, wenn man mal ein Schuljahr wiederholen müsse; denn was bedeute es im Blick auf ein ganzes Leben, wenn man ein Ziel statt in 12 erst in 13 Jahren erreicht, wichtig sei doch nur, dass man es erreiche. Ich hatte die Versetzung in Volksdorf gerade noch geschafft, musste aber, weil es meine neue Jahrgangsstufe in Poppenbüttel noch nicht gab, das Schuljahr […] wiederholen. So besuchte ich ab dem Sommerhalbjahr 1947 die ,Oberschule für Jungen und Mädchen in Poppenbüttel’.
Die äußerst bescheidenen ,Schulbauten bestanden aus einer Ansammlung von Holzbaracken um einen Schulhof, der einem Sturzacker Ehre gemacht hätte. […] Die Eingänge zu den Klassenzimmern lagen auf der Rückseite des Gebäudes, dazwischen sicherte eine Schwengelpumpe die Wasserversorgung der Schule. Auf der Rückseite befanden sich auch zwei hölzerne Plumps-Klo-Häuschen. […] Wie die Schulleitung es geschafft hat, in diesen bescheidenen räumlichen Verhältnissen mittlerweile drei starke Schülerjahrgänge unterzubringen, kann ich nicht sagen. […] Die Raumnot muß noch größer geworden sein, als das zweite Klassenzimmer unserer Urbaracke zur ,Turnhalle” umfunktioniert wurde. Beim Springen über den Bock oder Kasten mussten wir den Kopf einziehen, um nicht mit der niedrigen Decke zu kollidieren. Davon, dass es dabei auch Pannen gab, insbesondere beim Stützhüpfen über zwei hintereinander gestellte Böcke, zeugten mehrere durchstoßene Deckenpanele. Anlauf nahmen wir übrigens vom ehemaligen Lehrerzimmer aus, daran sieht man, wie klein der Raum unserer Turnhalle” war. […] Die Lage der Schule oben am Hang zum Staubecken vor der Poppenbüttler Alsterschleuse war sehr idyllisch. Das konnten wir beim Zeichenunterricht genießen, wenn es um Freihandzeichnen in der Natur ging, zu dem wir uns schattige Plätze unter den großen Eichen am Hang zur Alster suchten. […Der] Schulleiter, Herr[n] Dr. Eckmann […] unterrichtete uns in Mathematik, meinem Lieblingsfach. […] In meiner Erinnerung tauchen zwei Begriffe auf, die mit Dr. Eckmann verbunden sind: Die „Eckmannsche” Tour und die „Zigarrenformel”.
Mit der Eckmannschen Tour hatte es folgende Bewandtnis. Im Winter war es in unserem Klassenzimmer oft recht kühl, der eiserne Ofen schaffte es nicht, den Raum ausreichend zu erwärmen, zumal die Zimmertür direkt ins Freie führte, so dass bei jedem Türöffnen ein Teil der Warmluft nach draußen entwich. Und wenn wir Schüler uns mit kalten Extremitäten und kalten Mänteln und Jacken im Klassenzimmer zur ersten Unterrichtsstunde versammelten, dann waren die Finger schnell steif von der Kälte. Hier griff die Eckmannsche Tour! Dr. Eckmann machte es vor: Sich hinstellen, dieArme nach vorne strecken, die Arme angewinkelt zur Seite strecken, die Arme seitlich ausstrecken, die ausgestreckten Arme um 90° in der Schulter drehen und zurück in die Ausgangsstellung. Vier Schritte, die im Sprechchor begleitet wurden mit den Silben Eck-Mann-Sche-Tour. Bei der ,Zigarrenformel” handelte es sich um eine Wette, die unsere Aufmerksamkeit steigern sollte, ich meine im Zusammenhang mit den binomischen Formeln. Herr Dr. Eckmann rauchte gern Zigarren und schilderte uns den großen Genuss, den eine echte Havanna-Zigarre, ein Einzelstück, verpackt in einer Glasröhre, ihm bereiten würde, wenn er sie als Preis für eine gewonnene Wette von uns erhielte. Er wettete, er würde es schaffen, uns des falschen Gebrauches der binomischen Formeln zu überführen; vielleicht ging es auch darum, dass wir den Lösungsweg einer Aufgabe mit Hilfe der binomischen Formeln nicht finden würden, ich kann es leider nicht mehr so genau sagen, aber ich bin sicher, dass Herr Dr. Eckmann seinen Wettgewinn mit besonderem Behagen genossen hat.
Unsere Klassenlehrerin mit den Fächern Deutsch, Englisch, Geschichte und Religion war Frau Dr. Hurst. Sie versuchte, unser Interesse fürs Theater zu wecken, sowohl durch Theaterbesuche wie auch durch Theaterspielen oder szenische Lesungen. Unvergesslich ist mir die Aufführung eines englischen Stücks, bei dem ich einen alten Herrn spielen sollte, der auf der Straße eine ebenfalls alte Dame, eine frühere Freundin, trifft, die gerade bemüht ist, sich eines diskreten Kleidungsstückes zu entledigen. Um mich auf „alter Herr schminken zu lassen, schickte Dr. Hurst mich zu Ihrem Friseur nach Eppendorf. Und dieser verstand sein Handwerk derartig perfekt, dass ein junges Mädchen mir sofort seinen Platz anbot, als ich am Eppendorfer Baum in die U-Bahn einstieg. Ich war zu sehr verblüfft, um abzulehnen; kaum hatte ich Platz genommen, da wurde mir bewußt, dass ich die Rolle des alten Mannes nun auch beim Umsteigen in der Haltestelle Kellinghusenstraße und beim Aussteigen in Ohlsdorf würde spielen müssen, um mich nicht als Schwindler zu blamieren.
Im Laufe der Jahre ließen meine Leistungen in den Fächern von Frau Dr. Hurst mehr und mehr nach. lch bin überzeugt, dass daran nicht ich allein Schuld war, die Chemie zwischen uns stimmte einfach nicht. Als Herr Baus die Klasse übernahm und Dr. Hurst uns nur noch Unterricht in Englisch und Geschichte gab, besserten sich meine Noten in fast jedem Fach, sogar in Englisch und Geschichte innerhalb eines halben Jahres.Herr Baus unterrichtete Latein und Zeichnen, zeitweilig auch in einem freiwilligen Kursus Griechisch. Er hatte eine Art, die mir lag, auch wenn er mich gern als Torfkopp bezeichnete und, wenn er noch eins draufsetzen wollte, sagte, dass es sich um sehr hellen Torf handle, also um Torf ohne hohen Brennwert. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob in dem hellen Torfkopp nicht auch eine kleine Schmeichelei verborgen war, man denke an die Oetker-Reklame mit dem hellen Kopf aus Bielefeld. Herr Baus war es, der uns sagte, dass wir mit dem Abitur den Höchststand an Allgemeinbildung erreichen würden. Alles was wir danach an Wissen erwerben, sei Spezialisierung. Wie recht er hatte! Leider starb Herr Baus schon wenige Jahre nach unserem Abitur. […] Herr Dr. Kiendl unterrichtete uns in Biologie und Erdkunde. Besonders in Erdkunde ist viel auswendig zu lernen, Dr. Kiendl zeigte uns, wie man das macht. Dazu legten wir einen Zettelkasten an, auf der Vorderseite unserer Zettel wurden Fragen gestellt, auf der Rückseite die Antwort gegeben. So konnten wir jederzeit unser Wissen überprüfen und eventuelle Fehler korrigieren. […] Herr Kirschstein sorgte für Leibesertüchtigung; er schaffte es, uns mit fast nichts an Material einen abwechslungsreichen Turnunterricht zu geben. In unserer ,Turnhalle”, ich habe sie weiter oben beschrieben, spielten wir z. B. Hüpfball. Mit Springtauen banden wir uns die Füße zusammen, so dass wir uns nur hüpfend bewegen konnten und nicht in drei Sätzen vom einen Ende des Raumes zum anderen gelangten. Hüpfball wurde von zwei Mannschaften gegeneinander auf Tor, einem längsseits aufgestellten Segment des Kastens gespielt.
Herr Lübcke unterrichtete, wenn ich es richtig erinnere, Physik. Er unternahm mit uns aber auch Betriebsbesichtigungen, die kaum etwas mit Physik zu tun haben, deshalb bin ich nicht sicher. Zu den Betrieben, die wir besichtigten, gehörten das VW-Werk, die Howaldts-Werft mit einem Stapellauf, die Schokoladenfabrik der GEG, das Hochofenwerk Lübeck und eine Zeitungs-Druckerei. Bei diesen Besichtigungen lernten wir zwar wenig Physik, aber viel vom Leben in der Arbeitswelt.
Im Musikunterricht bei Frau Reincke fiel ich leider mal wieder unangenehm auf. Mir war von weiter hinten ein Zettel zugesteckt worden mit der Frage: Möchtest du Kussmaul heißen? Frau Reincke hatte den Zettel bei mir bemerkt, und ich mußte ihr den Zettel geben. Ich glaube, das Peinliche an der Sache war, dass der Mädchenname von Frau Reincke Kussmaul war. Für kurze Zeit hatten wir nach Dr. Hurst Herrn Gabrielson als Deutschlehrer. Ihm folgte Herr Dr. Elvers, der in Blankenese wohnte und damit vermutlich die zeitraubendste Anreise zu bewältigen hatte. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, Sprechpausen mit einem geschnarrten „ähh“ oder „und so weiter, nicht wahr” zu füllen; ich habe manchmal eine Strichliste geführt und dabei den Inhalt des Unterrichts nicht mitbekommen.“
(Schularchiv GOA, Acc. 2025, Ihlow.)